Von der Finsternis zurück ins Leben

Als Trauerbegleiter*in nimmt man immer wieder Anteil an Geschichten und Menschen, die einen besonders berühren. In diesem Fall ist sogar Freundschaft daraus geworden.

VON LEOPOLDINE AUER

Im November 2021 fragte mich Sandra Mellek, Hospizkoordinatorin in Amstetten, ob ich Zeit habe für die Begleitung einer Frau, deren Mann plötzlich verstorben ist. Ich besuchte Frau Maria noch am selben Tag. Es war deprimierend – in dem Bauernhaus mit seinen dicken Wänden war es kalt, die Vorhänge dicht zugezogen. Die Luft war stickig, es muss lange her gewesen sein, dass hier richtig gelüftet worden war.

Ich hatte den Eindruck, als wolle sich Fr. O. in ihrer Trauer zu Hause einigeln, und sich in ihren vier Wänden vor der Umwelt abschotten.

Wir lernten uns kennen und hatten ein recht vertrauliches erstes Gespräch. Sie konnte sich ihren Ballast der vergangenen schwierigen Wochen ein wenig von der Seele reden und so verabredeten wir uns wieder für die kommende Woche.

Dieses und die nächsten Treffen waren sehr intensiv. Frau Maria erzählte mir von vielen belastenden familiären Situationen, die sie in diesem Hause vor allem mit ihrer Schwiegermutter erlebt hatte. Diese Erzählungen über Demütigungen und Grausamkeiten, und zusätzlich der Verlust ihres Ehemannes, ihre Trauer und Kraftlosigkeit haben mich so bewegt, dass in mir der Wunsch immer stärker wurde, ihr zu helfen, wieder zurück in ein Leben mit schönen Momenten zu kommen.

Es wurde Advent und ich erfuhr, dass Frau Maria schon seit mehreren Jahren adventliche Feiern und Zusammenkünfte vermisste. So hatte ich die Idee, eine Zeit für weihnachtliche Lieder, Texte, Tee und Kekse zu planen, um sowohl Wünsche und Sehnsüchte, aber auch Enttäuschung und Traurigkeit zulassen zu können.

Diese Idee teilte ich mit der Nachbarin, welche freudig zusagte und das Vorhaben unterstützte. Nach und nach spürte ich, wie Frau Maria wieder ein wenig auf die Beine kam.

In der zweiten Adventwoche fuhr ich mit ihr auch zum Friedhof, um das Grab ihres Mannes zu besuchen. Sie hatte nicht die Gelegenheit gehabt, sich von ihrem verstorbenen Mann zu verabschieden.

Wir entzündeten eine Kerze, und stellten sie auf seinem Grab ab. Frau Maria sprach mit ihrem Mann, weinte, nutzte die Zeit der Nähe. Es schien, als ob sie in diesem Augenblick seinen Tod akzeptieren könne. Für sie jedoch geht das Leben weiter, ihre Kinder brauchen sie sehr.

Das nächste Treffen verbrachten wir gemeinsam mit ihren Nachbarinnen und ihrer Tochter. Wir machten uns einen richtig gemütlichen Adventnachmittag, mit duftendem Tee und leckeren Weihnachtskeksen, die die Nachbarinnen und ich selber gebacken hatten. Bei diesem Zusammenkommen spürte ich erstmals wahre Freude in ihrem Herzen.

Im Jänner erzählte mir Frau Maria von einem stimmungsvollen Weihnachtsfest zu Hause im Kreise ihrer Familie.

Ich spürte, wie sie mit ihren Kindern wieder eine zufriedene Familie wurde, da sie einander sehr verbunden waren. Es war auch so schön wahrzunehmen, dass ihr Lachen zurückkehrte.

Das hat auch mir wohlgetan. Wir planten gemeinsam, was wir bei den nächsten Besuchen machen würden. Neben den Besuchen, schickten wir einander Textnachrichten, gute Sprüche oder Bilder – wir freuten uns, voneinander zu lesen. Eigentlich kann man sagen, dass wir Freundinnen wurden, im Laufe der Zeit hatten wir ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zueinander entwickelt.

Nach den Feiertagen wurde sie leider krank und musste sogareinige Wochen im Krankenhaus behandelt werden. Aufgrund der strengen Corona-Maßnahmen waren wir in dieser Zeit ausschließlich telefonisch und über Textnachrichten im Kontakt. Wir schrieben uns oft täglich, weil sie immer wieder sehr verzweifelt war.

Ende Jänner berichtete sie mir, dass ihre Tochter ein Baby bekomme, und sie somit Oma werden würde. Sie freute sich sehr auf das kleine Leben, und es dauerte nicht lange, da stand in der ehemals kalten, finsteren Stube ein Gitterbettchen, mit allem, was man eben so benötigt.

Im April wurde ihr Enkelkind geboren, und ich durfte miterleben, wie die kleine Familie gewachsen war. Gemeinsam mit der Koordinatorin entschieden wir, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, die Begleitung abzuschließen. Frau Maria konnte ihre Trauer, die immer Teil ihres Lebens bleiben wird, in ihr Leben integrieren, es gibt aber auch neue, andere Inhalte, Freuden, Wirklichkeiten, die ihrem Leben Sinn und Kraft geben.

Nach wie vor stehe ich mit ihr in freundschaftlichem Kontakt, wir schreiben uns, und sie berichtet
mir von den Fortschritten, die ihr Enkelkind macht. Für mich war diese Begleitungwieder eine enorme Bereicherung Lebenserfahrung, die in meine „Schatzkiste – Caritas Trauerbegleitung“ kommt.

Leopoldine Auer hat den Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitungskurs der Caritas im Jahr 2014 erfolgreich abgeschlossen und ist seit der Zeit als Hospiz- und Trauerbegleiterin für den Mobilen Hospizdienst der Caritas in Amstetten tätig – von der Bezirksgrenze zu Melk auf der einen Seite bis nach Enns im äußersten Westen Niederösterreichs.

„Wir schätzen Poldi besonders für ihre unaufgeregte, ausgeglichene und großzügige Art. Die Liebe und Aufmerksamkeit zum Menschen spiegelt sich auch in ihrem wunderschönen Garten wider, den sie mit Leidenschaft und kreativen Ideen perfekt gestaltet hat“, so Sandra Mellek, Hospizkoordinatorin über unsere „Poldi“.

Mobiler Hospizdienst